Darf ich in einem laufenden Verfahren einen Schriftsatz der Gegenseite an Dritte weiterleiten bzw. sogar veröffentlichen?

Ob die Veröffentlichung eines Schriftsatzes der Gegenseite zulässig ist, hängt maßgeblich vom Inhalt des Schriftsatzes ab. Betrifft er Geschäftsgeheimnisse der Gegenseite, so kann diese auf Unterlassung klagen (§ 1004 Abs. I S. 2 BGB),
sowie im Falle eines entstandenen Schadens Ersatz für denselben verlangen (§ 823 Abs. I BGB). Sind also in dem veröffentlichten Schriftsatz Informationen enthalten, die in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit einem wie auch immer gestalteten Gewerbe der von der Veröffentlichung betroffenen Seite oder eines Dritten, lohnt sich ein zweiter Blick. Allerdings sieht die Rechtsprechung den Begriff des Geschäftsgeheimnisses eher weit: Dem Landgericht Berlin zufolge ist „nicht jede Berichterstattung über Interna tabu“ (27 O 530/09). Vielmehr müsse eine konkrete Schadensgefahr bestehen. Ist ein solcher Schaden jedoch nachweisbar eingetreten, kann es für die Seite, die den dafür ursächlichen Schriftsatz veröffentlicht hat, schnell teuer werden. Strafrechtliche Folgen hingegen wird die Veröffentlichung fast nie haben. Es ist schwierig, den Fall einer Beleidigung, die mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden kann, zu konstruieren. Eine solche Beleidigung müsste sich aus den Umständen der Veröffentlichung ergeben.

Weiterhin wichtig für die Bewertung der Frage, ob die Veröffentlichung eines Schriftsatzes der Gegenseite im Einzelfall rechtswidrig ist, sind Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, das in Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art 1 Abs. 1 (Würde des Menschen) im Grundgesetz verankert ist. Hierbei geht es wohlgemerkt nicht unbedingt um das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mandanten, sondern desjenigen, der den Schriftsatz verfasst hat (das wird meistens der Anwalt sein). Eine Veröffentlichung des Schriftsatzes kann zum Beispiel rechtswidrig sein, wenn es den Verfasser an den „Pranger“ stellt. Die in der Rechtsprechung tatsächlich unter diesem Namen entwickelte Figur der Prangerwirkung greift dann, wenn ein bestimmtes Verhalten des Betroffenen einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und das Ansehen des Betroffenen unter eben dieser Veröffentlichung stark leidet. Bei der Veröffentlichung eines Schriftsatzes könnte das eine Formulierung sein, die den Verfasser als hart und herzlos dastehen lässt (Beispiel: Der Anwalt eines Vermieters schreibt, die drohende Obdachlosigkeit des gegen die anstehende Räumung juristisch vorgehenden Mieters tue „nichts zur Sache“). Aber auch hier sind die Grenzen eng. Man kann nicht verlangen, in der Öffentlichkeit grundsätzlich nur den eigenen Wünschen entsprechend dargestellt zu werden (1 BvR 2477/08). Zuletzt ist der Kontext der Veröffentlichung entscheidend. Wird beispielsweise mit einem den veröffentlichten Schriftsatz begleitenden Kommentar der Eindruck erweckt, der Inhalt stelle eine unangemessene Eskalation dar oder werden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, kann das im Einzelfall anders zu bewerten sein als eine unkommentierte vollständige Veröffentlichung.

Eine Verletzung des Urheberrechts hingegen wird selten vorliegen. Zwar kann ein Schriftsatz grundsätzlich unter das Urheberrecht fallen, doch sind die Anforderungen recht hoch. Der Schriftsatz muss „ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials“ (I ZR 213/83) aufweisen. Das wird nicht häufig der Fall sein, da Schriftsätze normalerweise keine künstlerischen Stilblüten enthalten, sondern einzig dem Zweck dienen, die eigene Auffassung des Sachverhalts und der Rechtslage strukturiert darzulegen.

Zusammenfassend gibt es also einige Möglichkeiten, sich gegen die Veröffentlichung des eigenen Schriftsatzes zur Wehr zu setzen. Zuerst sollte man (wenn eine Beeinträchtigung des Eigentums vorliegt) von der Gegenseite Unterlassung verlangen, beziehungsweise auf Unterlassung klagen (das ist grundsätzlich auch bei der Weiterleitung des Schriftsatzes an Dritte denkbar). Auch kann man, wenn ein Schaden eintritt, Schadensersatz verlangen. Zudem kann unter Umständen eine Unterlassung aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sowie in Ausnahmen aufgrund urheberrechtlicher Bestimmungen verlangt werden. Die Erfolgsaussichten des jeweiligen Vorgehens hängen vom Einzelfall ab.

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